Hoffnung bis zuletzt
Das Zimmerchen im Altenheim war nicht sehr groß und sie hatte nicht viel mitnehmen können. Ein paar private Sachen durfte sie mitbringen. Eine kleine Kommode, ein TV -Gerät und ihre Garderobe, die von der Tochter neu gekauft worden war, denn sie sollte pflegeleicht und zweckmäßig sein. Ihre Blusen und Röcke, die sie so liebte, waren in die Altkleidersammlung gekommen. Ihre Wohnung war aufgelöst worden, ihre liebgewordenen kleine Wohnung, in der sie 40 Jahre gelebt hatte. Aber das wusste sie noch nicht. Die letzten 10 Jahre waren schwer gewesen, denn Hermann ihr Mann hatte einen Schlaganfall bekommen und beanspruchte sie bis zur Erschöpfung, Tag und Nacht. Sie hatte nie geklagt, hat sich nie beschwert.
Ihre Tochter hatte gesagt.
" Mama, du sollst dich hier erholen und wenn es dir besser geht, dann kommst du zu mir und Werner."
Sie hatte gesagt:
" Ja mein Kind, ich weiß du meinst es gut mit mir und hier hab ich auch die Ruhe, um mich wieder zu finden. Papas Tod hat mich doch sehr mitgenommen. Pflegst du sein Grab? Das Geld für frische Blumen, kannst du von meinem Konto holen, hast ja die Vollmacht."
Die Tochter versprach ihrer Mutter alles, alles was sie hören wollte und die alte Frau glaubte ihr.
Die Schwestern waren nett, aber wenn sie eine Frage hatte, wurde meist gesagt:
" ich komme gleich zu ihnen, einen Moment noch. "
Die Momente dauerten oft eine oder mehrere Stunden, oder gerieten ganz in Vergessenheit.
Sie hatten sie gefragt, sie nannten es Anamnese, wie ihr Leben verlaufen war . Sie wollte das nicht erzählen, denn sie sah nicht ein, warum sie für ein paar Wochen das alles berichten sollte. Ihre Tochter würde sie zu sich holen, wollte eine kleine Wohnung in ihrem großen Haus für sie einrichten und dann könnte sie mit den Enkelkindern spielen oder auf sie achten, während die Eltern arbeiteten. Es würde sehr schön werden.
Aber jetzt saß sie erst einmal in dem kleinen Zimmer im Altenheim, das sie für eine Privatklinik hielt.Aus dem Fenster schauend sah sie einen Park mit alten Bäumen. Sie stand auf, öffnete den Kleiderschrank und zog sich ihren Mantel an. Ging zur Türe und betrat den Flur. Alle Türen auf dem langen Flur sahen gleich aus. Sie musste sich die Zimmernummer merken 43........., sie sagte die Zahl ein paar mal vor sich hin und war sicher, sie würde sie nicht vergessen. Wie sollte sie gehen, Rechts? Links? Auf dem Flur war niemand zu sehen. Ah da sah sie eine Treppe, die sie hin unterging. Sie ging drei Treppen hinunter und öffnete eine Türe, nein hie war sie falsch, das sah sehr nach Keller aus.
Also stieg sie zwei Treppen wieder hinauf und öffnete eine Tür, wieder ein Flur, Hier waren alle Türen blau gestrichen, auf ihrem Flur waren die Türen....................ja hm welche Farbe hatten denn da die Türen? Sie sagte sich, dass sie gleich nachsehen würde, wenn sie wieder auf ihrem Flur war, in ihrem Zimmer mit der Nummer................Nummer? Oh Gott, welche Nummer war das den noch, welche Farbe hatten die Türen, in welchem Stockwerk war sie überhaupt.
Sie wurde unruhig. Aber zum Glück kam eine Schwester vorbei , die sie liebevoll ansah und sagte:
"Frau Bergler, wo wollen sie denn hin?"
" Ich.................ich, ich weiß es nicht. Ich weiß gar nicht wo ich bin, wo bin ich denn?"
" Sie sind hier bei uns im Seniorenheim Abendruh und nun schauen wir einmal nach, wo sie wohnen."
Sie hakte sich bei der alten Dame unter und zog sie mit sanfter Gewalt zum Aufzug, fuhr mit ihr ins Erdgeschoss und schaute in einer Akte nach.
" Frau Bergler, sie wohnen in der zweiten Etage, das ist die rote Etage, weil da die Zimmertüren rot gestrichen sind und ihre Zimmernummer ist 43. Soll ich sie dahin begleiten?"
" Nein, nicht nötig, ich möchte in den Park gehen und ein wenig frische Luft schnappen," sagte sie und sah die Schwester lächelnd an. " Wie heißen sie denn Schwester...................?"
" Ich bin die Schwester Nina, aber sie können jetzt nicht mehr in den Park, es gibt gleich Abendessen, dann bringe ich sie auf ihr Zimmer und helfe ihnen bei der Abendpflege."
Was wollte die? Ihr bei der Abendpflege helfen? Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr es war kurz vor 18:00 Uhr . Abendbrot dauert vielleicht eine halbe Stunde. 18:30 Uhr Abendpflege??? Helfen???? Nun gut, sie würde sehen, was die Schwester darunter verstand.
Das Abendbrot nahm sie ein an einem Tisch in einem großen Saal, mit vier alten Damen am Tisch. Die Frau ihr gegenüber saß im Rollstuhl und schaukelte die ganze Zeit vor und zurück, vor und zurück.........., der Speichel floss ihr aus dem Mund an der rechten Seite. Sie bemerkte das die Frau nicht sprechen konnte, sie war halb seitig gelähmt. Eine andere Schwester kam und reichte der Frau das Essen. Aber für ihren Geschmack, ein bisschen sehr ungeduldig.
Nein, sie mochte nichts essen und da kam auch schon Schwester Nina und fragte:
" Wollen sie nichts essen?"
Sie schüttelte nur den Kopf und Nina nahm sie am Arm , führte sie in den Aufzug, drückte zweite Etage und brachte sie in ihr Zimmer. Nina machte Licht im Bad und sagte:
" Wollen sie noch Fernsehen gleich?"
" Liebe Schwester Nina, ich weiß sie meinen es gut und sie tun nur ihre Arbeit, aber ich möchte nicht fernsehen, ich möchte auch noch nicht schlafen gehen, ich möchte das sie jetzt gehen und mich allein lassen."
" Frau Bergler, wenn sie Hilfe brauchen , wenn die Nachtwachen da sind, die haben keine Zeit ihnen zu helfen."
" Ich brauche auch keine Hilfe, ich hab mich bisher auch allein ausziehen können. Warum glaubt nur jeder er muss mir helfen."
Nina verließ ein wenig beleidigt das Zimmer und draußen vor der Tür dachte sie:............sie wird sich schon ein leben, aber die Tochter versteh ich auch nicht, hat sie denn ihrer Mutter nicht gesagt das sie hier bleiben muss? Das sie mit dem Mann und den Kindern nach Hamburg ziehen will? Und wir müssen lügen, weil die Mutter nicht erfahren darf, das sie hier ihr letztes zu Hause hat. Verdammte blöde Verwandtschaft."
Frau Bergler aber saß in einem Lehnstuhl, im Dämmerlicht, schaute hinaus in den Park und sagte:
" ich werde mich fügen müssen für die paar Wochen wo ich hier bin. Ich werde mich sehr schnell erholen und dann kommt meine Margitta mich holen, dann lebe ich bei ihr und den Kindern." bei diesem Gedanken lächelte sie.
Sie lebte noch vier Jahre im Seniorenheim Abendruh und jeden Abend sagte sie:
" Margitta kommt mich holen, Mein Kind vergisst mich nicht. ."
Das waren auch ihre letzten Worte als sie an einem kalten Winterabend einsam, nur mit einer Schwester an der Seite die ihre Hand hielt starb.
Die Hoffnung hatte sie nie aufgegeben.
Ende