Ich möchte zunächst einmal von Oriah Mountain Dreamer ausgehen, die schrieb:
ob du jemanden enttäuschen kannst,
um dir selber treu zu sein.„Jemanden enttäuschen“ sollten wir vielleicht einmal definieren:
„ent-täuschen“ bedeutet, jemandem aufzuzeigen, daß er sich in uns getäuscht hat.
Wir zeigen ihm auf, daß er einem Trugbild erlegen ist.
Das ist doch nichts Schlechtes, oder?
Ist die Seele glücklich, wenn sie sich für etwas entscheidet, wodurch jemand anderes leidet/ sich verletzt fühlt?Einerseits: würde die Seele sich für etwas entscheiden, wodurch der andere sich verletzt fühlt?
Die Seele will dem anderen sicherlich keinen Schaden zufügen.
Andererseits: ist es denn nicht denkbar, daß wir uns in einer Weise entscheiden müssen, die es uns ermöglicht, uns selbst treu zu bleiben und die den anderen zwar verletzt – aber auch dazu beiträgt, daß er Heilung erfährt?
Ein Beispiel vielleicht:
Bei uns im Altenheim sind wir mit 3 Leuten in der Haustechnik.
Ein weiterer Kollege unterliegt unserer Abteilung; er macht den Fahrdienst, arbeitet auf €400-Basis.
Und mit diesem Kollegen haben wir Probleme.
Er ist aufgrund einer Erkrankung (ich glaube, Muskelatrophie, also Muskelschwund) Frührentner und verdient sich also etwas dazu. Er ist geschieden, zahlt aber meines Wissens keinen Unterhalt an seine Ex-Frau. Kinder haben sie nicht.
Er lebt mit einer anderen Frau und deren beiden Kindern zusammen. Ich möchte einmal davon ausgehen, daß der leibliche Vater Unterhalt zahlt.
Diese Frau ist voll berufstätig.
Er bekommt 900 Euro Rente. Dazu die 400 Euro aus dem Fahrdienst.
Also netto 1300 Euro.
Sicherlich eine Summe, von der man leben kann.
Dennoch ist er ein Knauserer, Pfennigfuchser, Korinthenkacker und Erbsenzähler, daß einem übel wird.
Wir haben eine Senseo-Kaffeepad-Maschine, und täglich macht er sich einen Kaffee.
Oder auch zwei.
Nur: er hat noch nie Kaffee mitgebracht!
Nun ist der Kaffee fast aufgebraucht, und morgen soll er neuen holen.
Und wir drei sind gespannt, ob er nach Geld für den Kaffee fragt – oder ihn selbst bezahlt.
Wenn er ihn nicht bezahlen will – wird er keinen Kaffee mehr bekommen!
Sicherlich wird es ihn verletzen (das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!) – aber ich möchte mir selbst treu bleiben und nicht die Faust in der Tasche machen, wenn ich ihn Kaffee trinken sehe.
Verletzt es ihn?
Sicherlich.
Wird er leiden?
Ich denke, ja.
Wird es ihm schaden?
Nein. Wenn er wachsen will (sein Ego vielleicht nicht, aber seine Seele doch), wird es zu seinem Vorteil sein.
Bevor wir ihn als Fahrer bekamen, sind wir selbst gefahren, haben die Bewohner zu Ärzten etc. gefahren. Und immer wieder auch Trinkgeld bekommen, welches wir in die gemeinsame Kaffeekasse gegeben haben.
Er selbst hat noch nie (!) auch nur einen müden Cent in die Kaffeekasse gegeben.
Und es wird mir niemand weismachen können, daß er nichts bekommt.
In mir als Mensch sträubt sich alles dagegen, und die Liebe zu mir sagt "Tu nichts, was du nicht von Herzen willst". Aber ich bin mir sicher, die Liebe selbst hätte ihn ohne Zögern umarmt.
Wem bin ich also hier untreu geworden?
Welche Liebe ist hier die "richtige"?Die Liebe selbst hätte ihn wohl ohne Zögern umarmt. Die Liebe selbst ist selbstlos. Sie vergibt sich nichts, verliert nichts dadurch.
Aber wenn Du diese Person umarmt hättest, obwohl sich alles in Dir dagegen gesträubt hätte – wäre es dann wirklich eine liebe-volle Umarmung gewesen?
Oder ein Akt der Höflichkeit?
Es gibt noch andere Beispiele, die noch weitreichender sind, die z.B. auch Verwandtschaft betreffen. Zu persönlich und kompliziert, um hier zu schreiben
Aber immer wieder die Frage: was rechtfertigt eine Handlung oder Worte, die für jemand anderen zum (offenbar) Nachteil sind?Sind sie denn für den anderen –offenbar- zum Nachteil?
Vielleicht brauchen sie diese Handlung, diese Worte zu ihrem Wachstum?
Und worin offenbart es sich, daß es zu deren Nachteil ist?
deshalb werde ich jetzt einen Kuchen backen.
Laß mal n Stück rüberwachsen.
Ich hab auch noch Kaffee hier